Alfred Kolleritsch

 

Alfred Kolleritsch

 

Interview mit Alfred Kolleritsch
von Doris Jauk-Hinz




DJH: Wie waren die Hierarchien der 1960er Jahre in Graz?

AK: Ja, wenn ich zurückdenke, erinnere ich mich eigentlich an keine Hierarchien, sondern da hat es einen Überbau gegeben. Eine konservative und noch von der Hitler-Vergangenheit bestimmte Gruppe von Menschen, die zumindest was die Literatur betrifft, das Sagen hatte; und gegen diese Hierarchie sind wir aufgetreten, langsam, mühsam, mit der Gründung der Zeitschrift „Manuskripte“, mit Lesungen - und da hat sich ein Gegenpol gebildet, mit Autoren wie Barbara Frischmuth, Peter Handke, Klaus Hoffer bis hin zur Jelinek und so weiter. Da hat sich eine Veränderung vollzogen, die noch mitgetragen war von dem Landeskulturreferenten Hanns Koren, der zwar selber konservativ war, in seiner ganzen Einstellung, aber offen für das war, was sich da entgegengestellt hat. Die Landesregierung hat die Literaturpreise vergeben, den großen Literaturpreis noch an einst profilierte Nazigrößen. Man muss heute fast sagen, man kann dankbar sein, dass man diese Leute in den Vordergrund geschoben hat, das hat uns die Möglichkeit gegeben sich dagegen zu erheben.

DJH: Was haben Sie damals - und wie - dagegen gesetzt?

AK: Ja, dagegen gesetzt haben wir intensive Arbeit mit der Moderne, sowohl in der Malerei als auch in der Literatur. Das Ganze war ja auch dieser Aufbruch, diese „Revolution“ wie man gesagt hat im Forum Stadtpark, es war ein Lernprozess, der eingesetzt hat. Ein Lernprozess, der bewirkt hat, dass man sich einfach mit dem was in der Welt als Moderne schon längst da war, schon verblasst, dass man das kennen gelernt und entgegen gesetzt hat. Man ist weltweiter, offener geworden. Das war das, was wir von der Moderne erlernen konnten, dass wir uns gegen die Altvorderen, faschistischen geprägten Strukturen gewendet haben.

DJH: Was bleibt der Kunst heute von Ihrem Beitrag, Ihrer Haltung?

AK: Ich hoffe, dass die Zeichen, die wir gesetzt haben, eine Veränderung bewirkt haben. Was jetzt geschieht, man braucht nur auf die Literatur zu blicken, ist, dass es eine Fülle an jungen Autoren, jungen Malern gibt, die sich einfach nicht mehr mit dieser von mir genannten Hierarchie aus der Anfangszeit auseinandersetzen müssen. Die können schon in einem Umfeld arbeiten und sind nicht mehr belastet von dem, was uns in den 60er Jahren so gequält hat und auch den Anstoß gegeben hat, uns dagegen auszusprechen und zu erheben.

DJH: Und wie sehen Sie die Situation heute?

AK: Ja die Situation ist Gott sei Dank anders, die hat sich auch zu verändern begonnen, als sich die Politik verändert hat. Sowohl im Schulwesen, im Kunstwesen, im Förderungswesen usw., ist mit der Ära Kreisky ein neuer Wind durch das Land gezogen, von dem viele profitiert haben. Wenn man nur die Schullehrbücher - ich war als Germanist an der Schule - von den sogenannten Lesebüchern in den 60er Jahren, mit denen in den 70er Jahren vergleicht, da hat sich wirklich eine große Wende und Kehre gezeigt. Was früher oft verspottet wurde, Kunst die sich nicht mehr reimt und sich nicht an eine bestimmte Metrik hält, ich denke auch an die Malerei, Bilder die noch in den 60er Jahren in der Schule verpönt waren, wo man sich lächerlich gemacht hat - und ab den 70er Jahren war der Zeichenunterricht ein Unterricht nach modernen Methoden, es hat sich plötzlich ein Wandel vollzogen an dem, was in den 60er Jahren noch verpönt, verfolgt war. Wir haben in unserer Zeitschrift Gedichte oder Werke von z.B. Ossi Wiener, Raoul Hausmann und von Kurt Schwitters drinnen gehabt, da wollte man uns einen Pornographieprozess anhängen… All das ist heute unmöglich, was damals geschehen ist. Das hat sich von selbst gereinigt. Natürlich die Schwierigkeit, das Verhältnis von Kunst und Politik, das sich ja oft zuspitzt auf das, was an Förderungen, an Möglichkeiten da ist – finanziell - um Projekte zu verwirklichen, dieser Gegensatz, dieses Gegeneinanderwirken bleibt ja. Aber es ist unvergleichbar mit dem was in den 60er Jahren war.

GMW: Was hat die Kunst oder die Literatur heutzutage für Widersacher, braucht sie das überhaupt?

AK: Ja, wenn die Kunst mit ihrer Zeit geht und wie man so schön sagt Avantgarde ist, ein bisschen vorausschaut und kritisch ist und sich mit den Verhältnissen auseinandersetzt, dann hat sie eine ganz wichtige Funktion, die die sie eigentlich immer gehabt hat: sich gegen Bestehendes zu stellen. Die Literatur zumindest, und auch die Bildende Kunst, könnte und soll auch immer eine Brechstange sein, mit der man hineinfährt in die festgezurrte Wirklichkeit um andere Perspektiven zu eröffnen - die Augen anders aufzumachen als man gewohnt ist oder gedrillt wurde, zu sehen.


Dieses Video-Interview zum Projekt „Gesichtsfeld“ (Gertrude Moser-Wagner und Doris Jauk-Hinz) fand im Dezember 2011 im Büro Manuskripte, Graz statt.


Alfred Kolleritsch, geb. 1931 in Brunnsee in der Südsteiermark, Studium von Philosophie, Germanistik und Geschichte in Graz, 1956 bis 1993 Lehrer (Philosophie und Deutsch) in Graz.

Mitbegründer und 1969 bis 1995 Präsident des Forum Stadtpark. Er gibt seit 1960 die Literaturzeitschrift "manuskripte" heraus, in der er sich seit nunmehr 40 Jahren für die Literatur und die Schriftsteller und gegen jede - auch ästhetische - Erstarrung und Fest-Schreibung einsetzt. Erhielt unter anderem den Petrarca-Preis (1978), den manuskripte-Preis des Landes Steiermark (1981), den österreichischen Staatspreis für Kulturpublizistik (1994) und den Hans Koren Preis (2002).

Zeitschrift für Literatur: http://www.manuskripte.at
Literaturverlag Droschl: http://www.droschl.com/programm/buecher.php